Angeschickert nach durchzechter Nacht, noch nicht müde, sass ich vorm Fernseher und zappte durch die Kanäle.
Hängengeblieben auf einem deutschen Sender, der einen Poetry Slam übertrug. Die Auftritte von Andy Strauss und Sebastian23 entluden sich als ungebremster, krampfartiger Lachanfall, ich war augenblicklich angefixt.
In meiner Euphorie suchte ich im Netz nach Poetry Slam Schweiz, stiess auf Etrit Hasler, schrieb drei Texte und wurde 2009 auf der Bühne der Roten Fabrik «entjungfert».
Abgründig – unerbittlich – zutiefst erschreckend
Scheinwerfer zünden grell in meine Augäpfel, das Gesicht schweissnass und mein Mund trocken, dass ich fürchtete Zunge und Zähne pulverisiert als Wort-Konfetti ins Publikum zu pfeffern.
Das rechte Bein tanzte losgelöst «livin la vida lo-lo-lo-ca – baby we`re going wild» und liess mich schwanken wie den Prothese-Piraten, heimgesucht von einer Bande trolliger Holzwürmer.
«Is this the end?», fragte ich mich. Wogende Panik und wage ein Gefühl der Realität eines unendlichen Universums.
Umso schneller verschwand ich danach im Klo, welches ich vor Ende meines Lebens nicht zu verlassen gedachte. Meine Träume spülte ich in den Rio-Grande der Schande.
Ein nettes Mädel klopfte an die Türe und gratulierte mir zu Auftritt und Tapferkeit.
Wacker durchgehalten, originelle Zeilen, noch entzückender die Nummer mit dem spastischen Bein, wie lange ich das geübt hätte, einfach zauberhaft.
Yes! Groupies! Nun denn, dachte sich der ru(h)mgetränkte Pirat in mir, einmal ist keinmal…
Mundart
Es sind Ausnahmetalente, die zum ersten Mal an einem Dichterwettstreit teilnehmen, Ru(h)m und Ehre einheimsen und sich in Liebe des Publikums suhlend wie pinke Glücksschweine, Sieger/in* nennen dürfen.
Ich gehörte nicht zu ihnen. Ein ums andere Mal badete ich mit meinen Texten, wie die Goldkugel der Prinzessin im Märchenbrunnen. Bis zum Musenkuss kämpfte ich mit Froschverdruss.
Ich pausierte ein halbes Jahr, hatte beinahe aufgegeben als ich einen letzten Versuch wagte, mit einem Text auf Berndeutsch. «Wiä mir d Schnurre gwachsä isch»
Das funktionierte. Ich fühlte mich befreit. Schreiben wie ich denke, empfinde, bin oder sein möchte, indem ich eine Kunstfigur erschaffe. Mein Temperament schlug sich in Wort und Performance nieder. Keck, umweht von einem Hauch Entrüstung in steigender Tendenz, wobei ich die Grenze, was eine Frau auf der Bühne «darf», mit Freude ausgelotet habe. Meinem Schreibstoff wurde eine bildhafte «couleur vulgaire» nachgesagt, was mir egal war.
Mit Worten, die sich in Lachen, Freiheit, Inspiration und Leidenschaft ausdrücken, kann Frau* nicht falsch liegen, auch wenn manche das anders sehen.
Schliesslich behauptete ich auch nie, mit scharfsinniger Sprachkunst gesegnet zu sein. Ich gewinne mit einem augenzwinkernden Lächeln.
Go Girl Go!
Nach und nach gesellten sich gewonnene Whiskey Flaschen zueinander und verstaubten im Bücherregal. Ich mag keinen Schnaps.
Der obligate Schluck aller Schreiberlinge am Ende eines jeden Poetry Slams gehört allerdings zum heiligen Brauchtum. Kumulierte Spucke an und in der Flasche stärkt die Gemeinschaft und schenkt der Muse Frohsinn oder wenigstens einen lebhaften Herpes. Übrigens sind Hautärzte mit einer Zufriedenheitsrate von 53% die glücklichsten Schweizer Mediziner, aber ich schweife ab.
Im 2012 wurde ich im Casinotheater Winterthur zur besten, weiblichen Poetin und Drittplatzierten an den Poetry Slam Schweizermeisterschaften gekürt. Die folgende Einladung von Viktor Giacobbo in seine Sendung war sowohl ein Ritterschlag als auch befremdend. Noch heute erstaunt es mich, mit welchem «Seich» Menschen, mich eingeschlossen, ins Fernsehen kommen. Es folgten weitere Auftritte u.a. in der Sendung Comedy aus dem Labor, bei Radio Energy und Projekte beim SRF. Ich schrieb Kolumnen und Auftragsarbeiten für Privatpersonen, Zeitungen, Zeitschriften, online Formate, Unternehmen, Vereine und Stiftungen.
Plötzlech hets di am Füdle
Allein von der Kunst leben, wollte ich nicht. Einerseits, weil ich ein Bünzli bin und mich Sorgen um unbezahlte Rechnungen belasten, andererseits, um möglichst nicht in Zwang zu geraten, einen Auftrag annehmen zu müssen.
Durch das Teilzeitleben als Künstlerin liessen sich Freiräume schaffen, was mit gut gefiel.
Meine wachsende Bekanntheit fühlte sich indes eher unheimlich als schmeichelnd an.
Auf der Strasse erkannt und angesprochen zu werden, manche pfiffen oder schickten Fanpost, wurde mir zu viel und setzte mich zunehmend unter Leistungsdruck.
Oft empfand ich eine innere Leere, obwohl ich mich mitten unter Menschen befand.
Ende 2015 schickte ich mich in Bühnen-Pension.